19.02.2022

Sein Sportgerät ist das Langschwert

Serie Kamp-Lintfort. Der Lintforter Turnverein (LTV) vereint verschiedene Breitensport-Angebote unter seinem Dach – auch ungewöhnliche. Dazu gehört auch die Moderne Schwertkunst. Von Anja Katzke

Die Leidenschaft für die Moderne Schwertkunst teilt Peter Joost (50) mit gerade mal 280 praktizierenden Sportlern in Deutschland. In Kamp-Lintfort ist es eine kleine Gruppe, die die noch junge Sportart zweimal in der Woche in der Turnhalle des Diesterwegforums in Kamp-Lintfort begeistert trainiert. Der Jüngste ist 14, der Älteste 58 Jahre alt. Ihr Sportgerät ist das Langschwert.

„Es ist dem gotischen Schwert aus dem 14. bis 16. Jahrhundert nachempfunden. Unsere Techniken basieren auf dem Wissen alter Fechtbücher“, betont Joost. Schwertkunst? Da denkt der Laie an mittelalterliche Ritter in Rüstungen, die sich auf den Schlachtfeldern Europas gegenüberstanden oder in Turnieren um die Gunst eines Burgfräuleins buhlten. Joost winkt ab: „Damit hat die Moderne Schwertkunst nichts zu tun. Sie ist ein zeitgemäßer Kampfsport, der als eine Gesundheits-, Breiten- und auch Leistungssportart anerkannt ist.“

INFO

Sporthalle im Diesterwegforum

Training Die Gruppe trainiert dienstags von 19 bis 20.30 Uhr und donnerstags von 19.30 bis 20.30 Uhr in der Sporthalle des Diesterwegforums an der Vinnstraße 40.

Voraussetzung Der LTV setzt die 2G-plus-Regel für die Teilnahme voraus. Jugendliche trainieren ab 14 Jahren mit.

Kontakt info@ltv-1927.de

Seit einigen Jahren ist die Moderne Schwertkunst unter dem Dach des Lintforter Turnvereins angesiedelt, der in diesem Jahr das 95-jährige Bestehen feiert. Peter Joost entdeckte die Sportart 2016 in einem VHS-Kursus in Kamp-Lintfort für sich. „Bis dahin hatte ich höchstens mal historische oder Fantasy-Romane gelesen. Mit Schwertern hatte ich nichts am Hut“, erzählt Joost, der früher Volleyball spielte, dann aber mehrere Jahre pausierte. Die Begeisterung war sofort nach den ersten Übungen geweckt. „Man ist fokussiert und voll auf die Bewegungsabläufe konzentriert. Und dabei kommt man außerdem noch ganz schön ins Schwitzen“, erzählt der 50-jährige Sportler lachend.

„Es ist ein ganzheitlicher Sport. Die Nackenschmerzen, die ich früher durch die Arbeit an Schreibtisch und PC hatte, sind weg. Beim Schwertkampf habe ich die richtige Haltung gelernt.“ Als der VHS-Trainer seinerzeit nach gut drei Semestern aus persönlichen Gründen aufhörte, stand für seine Schüler fest: „Wir wollen weitermachen.“ Gesagt, getan. Sie suchten einen Sportverein, der ihre Truppe aufnehmen würde, denn man brauchte eine Halle und viel Platz fürs Training. Beim Lintforter Turnverein fanden sie eine neue Heimat. „Der LTV ist eine große Vereinsgemeinschaft und pflegt eine offene Vereinskultur“, weiß Joost zu berichten. Als Koordinator für Modernen Schwertkampf ist er heute als Beisitzer im Vorstand des Turnvereins engagiert. Die Gruppe coacht sich selbst. Einige haben über den LTV eine Ausbildung zum Übungsleiter absolviert.

Organisiert sind sie im VMSB e.V., dem Fachverband für Moderne Schwertkunst. Er regelt den Sportbetrieb bundesweit und ist über den Karateverband an den Deutschen Olympischen Sportbund angegliedert. Auch den Lehrplan gibt der Verband vor. Geschult werden neben den Schwerttechniken auch Kraft, Ausdauer, Koordination und Konzentration. Die Sportart ist erst seit der Jahrtausendwende in Deutschland etabliert und nahm in Bayern ihren Anfang. Und dort hat sie noch immer ihren regionalen Schwerpunkt. „Die meisten Mitglieder des Verbandes kommen noch heute aus Bayern“, berichtet Joost. Außerhalb von Bayern gibt es derzeit nur drei Sportvereine, die Moderne Schwertkunst regelmäßig betreiben: Neben dem Lintforter Turnverein gibt es Gruppen in Münster und in Osnabrück. Im Kamp-Lintforter Diesterwegforum beginnt jede Trainingsstunde mit einer Meditation. Die Moderne Schwertkunst vereint zwei Bereiche: Formen und den Semi-Kontakt-Freikampf. Formen sind festgelegte Bewegungsabläufe, die den Kampf gegen einen imaginären Gegner darstellen. „Es sind sozusagen Trockenübungen wie eine Kata im Karate“, erläutert Peter Joost. Im Freikampf mit dem Langschwert aus Holz oder dem Kunststoff Nylon geht es nicht ohne die passende Schutzkleidung. Das Equipment umfasst Schutzhelm mit Hinterkopfschutz, Handschuhe, Stichkragen, Tiefschutz sowie eine schwere und stichfeste Fechtjacke.

„Das sieht vielleicht auf dem ersten Blick martialisch aus, dient aber dem Schutz“, erklärt der 50 Jahre alte Sportler lächelnd, der beruflich als Coach in einem globalen Unternehmen tätig ist. Trainiert wird barfuß – wegen der Bodenhaftung. Wie in der asiatischen Kampfkunst können die modernen Schwertkünstler Grade und damit zehn verschiedene Gürtel von Weiß bis Schwarz erringen. Drei Vereinsmitglieder stehen zurzeit vor der nächsten Gürtelprüfung. Wettkämpfe um die Deutsche Meisterschaft finden jedes zweite Jahr statt. „Dazwischen liegen immer die bayrischen und die norddeutschen Meisterschaften. Bei den Norddeutschen haben wir 2018 den zweiten Platz belegt“, berichtet Koordinator Peter Joost stolz.

Die Corona-Pandemie ließ auch die Schwertkunst im Turnverein während der Lockdowns in den vergangenen zwei Jahren mehrfach pausieren. Inzwischen wird wieder regelmäßig trainiert. „Vor den Sommerferien haben sich fünf neue Mitglieder angemeldet. Und zu uns gehören übrigens mehr Frauen als Männer“, betont Joost.

Letzte Änderung: 15.03.2023 um 16:37