08.11.2022 Die NRZ veröffentlicht einen Artikel von Gabi Gies:
Kamp-Lintfort. Mittwochs-Mädels wissen, wie man die Seele streichelt: Windbeutel, Sahne und Kirschgrütze stehen an diesem Morgen in der Küche des Vereinsheims, selbstverständlich frisch gebacken und zubereitet. 25 Jahre ist es her, dass der Lintforter Turnverein (LTV) die Gruppe „Sport in der Krebsnachsorge“ aus der Taufe gehoben hat. So heißt die Gruppe offiziell immer noch. Selbst sprechen die Frauen von sich aber als den „Mittwochs-Mädels“. Für den Verein sind sie in all den Jahren nicht nur zum sozialen Kitt geworden, sondern haben auch das Selbstverständnis eines Vereins mitgeprägt, indem es längst um mehr als nur sportliche Erfolge und Bewegungsangebote geht.
14 Frauen sind es aktuell, die sich jeden Mittwochmorgen an der Eyller Straße treffen. Eine von ihnen ist LTV-Geschäftsführerin Ulrike Plitt, die die Gruppe vor einem Vierteljahrhundert mit aus der Taufe gehoben hat. Damals war Sport in der Krebsnachsorge für den LTV ein völlig neues Betätigungsfeld. Eines, wie Plitt heute weiß, das den Verein vor völlig neue Herausforderungen gestellt hat. „Uns war damals wichtig, die Gruppe als Schicksalsgemeinschaft zu begreifen“, erinnert sie sich. „Ich habe mich in diesen 25 Jahren von vielen Frauen verabschieden müssen, aber es sind immer Lebensbezüge geblieben. Wir haben in dieser Zeit gelacht und geweint. Bei vielen Frauen sind wir gemeinsam durch die ganze Krankheitsgeschichte gegangen. Hier sind viele Freundschaften entstanden.“ Seit einem Jahr kooperiert der LTV mit den Alexianern, die in Kamp-Lintfort unter anderem Angebote für Menschen mit Demenz bereithält. Eine neue Herausforderung, der sich auch die Mittwochs-Mädels bei ihren wöchentlichen Treffen stellen.
Das Miteinander leben, Beziehungen pflegen – auch, damit Älterwerden nicht in Isolation endet. Dass das mit viel Engagement tatsächlich funktioniert, hat Plitt sogar in der Corona-Zeit erlebt. „Aber es hat mir auch gezeigt, dass wir uns noch mehr anstrengen müssen.“ „Unsere Sportgruppe mit Herz“ nennt sie ihre Mädels, die sie als „Vorturnerin“ leitet. Dass Sport auch angesichts des zunehmenden Alters immer weniger eine Rolle spielt, ist für sie nicht von Bedeutung: „Es geht ja nicht, dass Menschen aus dem sozialen Gefüge herausfallen, wenn sie keinen Sport mehr machen können“, sagt Plitt. Eher darum, ein soziales System zu sein, in dem der Alltag von Menschen – vom Jüngsten bis zum ältesten Mitglied – stattfindet.
Dafür haben die Mittwochs-Mädels im Verein alle ein „Mini-Ehrenamt“: Sie sind Kassenprüferinnen, Handy-Coaches, Kuchenbäckerinnen, Näherinnen, Rollator-Führerschein-Aktivistinnen, Hockergymnastik-Showgruppe, Taxifahrerinnen, Briefeschreiberinnen, Telefonistinnen, Kalte-Platten-Dekorateurinnen, Spüldamen, Blumengrußüberreicherinnen, Dichterinnen, gute Zuhörerinnen, Geschichtenerzählerinnen oder Sängerinnen – auch gebraucht zu werden, hält fit, weiß die LTV-Geschäftsführerin: „Der Verein ist auf Bindung aus – und bereit, dafür zu investieren. Hier wird es nicht passieren, dass jemand ins Krankenhaus kommt, und keiner weiß etwas davon.“
Zum Silberjubiläum haben die Mittwoch-Mädels einmal nicht selbst gebacken, Kaffee gekocht und gespült, sondern sich mit einem Bankett in Wellings Parkhotel feiern lassen. Dass der Vereinsvorsitzende Willi Schreurs sie in seiner Ansprache als „Motor für gesunde Vereinsarbeit“ gewürdigt hat, hat sicherlich genauso gut geschmeckt, wie die kleine niederrheinische Kaffeetafel. Aber jeden Mittwoch frischer selbst gebackener Kuchen, gute Gespräche und ein verlässliches, funktionierendes Miteinander haben auf lange Sicht mehr Nährwert...